top of page

Eine grandiose Tour de Force durch drei der besten sonaten violinesonaten des 20. Jahrhunderts . . .

Format: Audio CD

 

von Rainer Aschemeier,

 

The Listener

 

25. März 2013

cover.jpg

Wer es im hehren Klassikgenre wagt, ein Werk als „unterhaltsam“ einzustufen, wird heutzutage schräg angeguckt. „Unterhaltsam“ gilt ja heute als eher abwertende Bezeichnung. Operette, ja das ist vielleicht unterhaltsam oder auch Filmusik oder so etwas…
Vielleicht liegt es auch an dieser Sicht der Dinge, dass der Klassik des 20. Jahrhunderts das Publikum wegbleibt.
Moment mal – die Klassik des 20. Jahrhunderts!? Waren wir nicht gerade noch bei der Operette? Wo ist denn da das verbindende Element?
Ganz einfach: Die drei Werke auf der hier vorgestellten neuen gramola-CD sind im besten Sinne unterhaltsame Musik. Und dabei spielt es gar keine Rolle, dass sie inhaltlich einen breiten Bogen spannen – von der dunklen Kriegsvorahnung bis hin zum koketten Stil der Gruppe „Les Six“.
Mit den Violinsonaten von Janáček, Prokoffjew und Poulenc hat das hier zu hörende Duo Louise Chisson (Violine) und Tamara Atschba (Klavier) zielsicher drei der schlichtweg kompositorisch besten Beiträge zur Violinsonate im 20. Jahrhundert ausgewählt und stellt sie hier nebeneinander. Und wie herrlich unterhaltsam „gut“ sein kann, zeigen diese beiden bemerkenswerten Künstlerinnen auf beeindruckende Art und Weise.
Ich bin ganz begeistert! Louise Chisson ist eine begnadete Violinistin mit einem äußerst individuellen Ton, der vom zartesten Pianissimo bis hin zum herb-expressiven Ausdruck so vielgestaltig rüberkommt, wie man es sonst von den ganz Großen der Vergangenheit gewohnt war. In der Tat muss ich feststellen, dass ihr Stil zum Teil ganz frappierend an die Kunst David Oistrakhs erinnert. Und könnte es ein größeres Kompliment geben, als das?

Tamara Atschba begeistert ebenso mit einem weichen, aber sehr präzisen Anschlag, einer bemerkenswerten Virtuosität. Und ganz wichtig: Beide haben den notwendigen rhythmischen „Drive“ für diese vertrackten Werke.
Wie perfekt die beiden aufeinander eingespielt sind, hört man am besten bei der herrlichen Janáček-Sonate im dritten und vierten Satz. Jegliche rhythmische Gemeinheit, die der Komponist hier seinen Interpreten abverlangt, wird von Chisson und Atschba scheinbar mühelos bewältigt. Dabei strotzt ihre Interpretation nur so vor Individualität und emotionaler Kraft. Diese Einspielung ist keine Deut schlechter als jene von Christina Åstrand und Per Salo, die ich letztes Jahr zur bisherigen the-listener.de-Referenz erkoren hatte.


Die qualitativ phänomenale Leistung setzt sich auch in Prokoffjews erster Violinsonate fort, in der Chisson und Atschba sowohl die beißende Ironie als auch die lyrische Kraft der Partitur freizulegen vermögen.
Ihren Poulenc spielen die beiden so hinreißend modern und stilsicher, dass es eine Pracht ist. Der französische Komponist ist in ihren Händen kein Pariser Boulevardkünstler, zu dem er oft herabgewürdigt wird. Chisson und Atschba sehen in Poulenc einen großen Meister des 20. Jahrhunderts und verleihen seiner Sonate dieselbe Expressivität wie zuvor der Janáček- und der Prokoffjew-Sonate, während sie aber die lyrischen, ja „sexy“ Stellen dieses geradezu rätselhaft zwischen Intellekt und Leidenschaft schwankenden Stücks nicht ausblenden. Sehr schön wird dadurch die Poulenc’sche Stilambivalenz deutlich.


Ich muss es noch einmal sagen: Ich bin ganz begeistert und kann kaum glauben, dass diese CD tatsächlich erst das Debütalbum von Louise Chisson und Tamara Atschba sein soll! Hier musizieren zwei bereits in jungen Jahren geradezu vollendete Künstlerpersönlichkeiten, die nicht nur jede spieltechnische Hürde im Schlaf meistern, sondern dazu noch so viel Persönlichkeit mitbringen, wie ich es in den letzten Jahren nur ganz selten einmal gehört habe.


Dieses Duo ist in meinen Augen nicht weniger als eine Sensation! Und da auch der Sound dieser Aufnahme sehr präsent, räumlich und natürlich klingt, ist diese spitzenmäßige CD eine der Top-Empfehlungen des bisherigen Frühjahrsprogramms. Es bleibt zu hoffen, dass die Leute bei Gramola wissen, was sie an diesen beiden herausragenden Künstlerinnen haben. Bitte mehr davon!!!

bottom of page